Die Renaissance der Höflichkeit
Höflichkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung
Gutes Benehmen liegt wieder im Trend. Kulturwissenschaftler und Soziologen beobachten seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine „Renaissance der Höflichkeit“. Diese sei eine Folge jener gesellschaftlichen Veränderungen, die uns allen unter den Begriffen „Internationalisierung“ und „Globalisierung“ mehr oder minder vertraut sind und uns täglich auch in unserem persönlichen Leben begleiten. Die gefühlte Komplexität in den modernen Gesellschaften sei so groß geworden, dass Manieren und Benimmregeln als verbindliche Orientierungsrahmen heute wieder verstärkt diskutiert würden. Hinzu komme, dass aufgrund zunehmender Säkularisierung in unseren Breitengraden bestimmte Verhaltensweisen wieder gelenkt werden wollten. Steuerte früher die Religion bestimmte Sitten, Bräuche und Konventionen, so würden bei Abnehmen dieses Regelungsmechanismus andere Verhaltensmaßstäbe und Sitten-Codices evident – und verbindlich. Ein Beispiel: Wo früher das Gebet die gemeinsame Mahlzeit einleitete, ist es heute Tischsitte, zu warten, bis alle Anwesenden das Essen auf ihrem Teller haben und „Guten Appetit“ gewünscht wird.
Was Ende der 1960er und weit in die 1970er Jahre verpönt gewesen ist, wird heute wieder geschätzt. Die sogenannten „68er“ bestimmten für ein Vierteljahrhundert: Alles geht, alles ist erlaubt! Erst in den 1990er Jahren erkannte die nachfolgende Generation, dass die absolute Freiheit im zwischenmenschlichen Umgang genau diesen eher erschwert als erleichtert. Die Menschen sind auch jenseits von Theodor W. Adornos brillant formulierten „Minima Moralia“ darauf aufmerksam geworden, dass das Vergnügen, die Grenzen zu überschreiten, die jahrhundertelang durch Moral und Vernunft gesteckt wurden, ein zweifelhaftes ist. Sie erkennen mehr und mehr, dass die Rückkehr zu Höflichkeit, Rücksicht und Toleranz eine Gesellschaft davor schützt, in eine Unkultiviertheit zurückzufallen, die schon als überwunden galt.